Was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, alternde Gehirnzellen wieder zu verjüngen? Forschende aus Luxemburg und Spanien sind kürzlich dieser Frage nachgegangen. Sie entwickelten eine „Aging clock“, eine Uhr, die das biologische Alter des Gehirns messen kann, und nutzten diese, um potenzielle verjüngende Interventionen zu identifizieren. Das von ihnen entwickelte computergestützte Werkzeug, das kürzlich in der Fachzeitschrift Advanced Science vorgestellt wurde, stellt eine wertvolle Ressource dar, um Substanzen mit therapeutischem Potenzial bei neurodegenerativen Erkrankungen zu finden.
Da die Weltbevölkerung rasch altert und bis 2050 mehr als zwei Milliarden Menschen über 60 Jahre alt sein werden, ist mit einer Zunahme altersbedingter Hirnerkrankungen zu rechnen. Ein längeres Leben bei schlechter Gesundheit ist nicht nur eine beängstigende Aussicht, sondern auch eine erhebliche Belastung für die Gesundheitssysteme weltweit. Die Idee, dem funktionellen Abbau unseres Gehirns durch verjüngende Maßnahmen entgegenzuwirken zu können, klingt daher vielversprechend. Die Frage lautet daher: wie lassen sich Substanzen identifizieren, die das Potenzial haben, Gehirnzellen effizient verjüngen und die alternde Bevölkerung vor neurodegenerativen Erkrankungen schützen zu können? Prof. Antonio Del Sol und seine Teams aus Bioinformatikern, die sowohl am LCSB der Universität Luxemburg als auch am CIC bioGUNE in Bilbao tätig sind, nutzten ihre Expertise im Bereich des maschinellen Lernens, um diese Herausforderung anzugehen.
Eine Uhr zur Messung des biologischen Alters des Gehirns
Die Forschenden entwickelten eine sogenannte „Aging-Clock“, ein computergestütztes Werkzeug zur Messung des biologischen Alters von Zellen im Gegensatz zu ihrem chronologischen Alter. Denn Organe und Gewebe von Menschen gleichen Alters können sich im Laufe der Zeit aufgrund genetischer und umweltbedingter Faktoren unterschiedlich entwickeln, was zu unterschiedlichen biologischen Altern führt. Diese Uhren sind daher nützliche Werkzeuge, um die Alterungsprozesse auf molekularer Ebene zu erfassen und ihre Ursachen und Folgen besser zu verstehen.
Die von den Forschenden des LCSB und CIC bioGune entwickelte Uhr ist spezifisch für das Gehirn und nutzt Genexpressionsdaten von 365 Genen zur Vorhersage. Sie wurde mittels maschinellen Lernens mit Daten gesunder Personen im Alter von 20 bis 97 Jahren trainiert und konnte deren Alter präzise vorhersagen. Weitere Tests zeigten, dass die Uhr das biologische Alter verschiedener Zelltypen im Gehirn, insbesondere von Nervenzellen, genau bestimmen kann. Schließlich stellten die Forscher durch den Vergleich der vorhergesagten biologischen Alter von gesunden Personen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen fest, dass die Patienten ein höheres biologisches Alter aufwiesen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das von unserer Uhr berechnete biologische Alter der Gehirnzellen den Rückgang der Gehirnfunktion widerspiegelt, den die Patienten insbesondere zwischen 60 und 70 Jahren erleben. Dies korreliert sogar mit dem Grad der Neurodegeneration“, erklärt Dr. Guillem Santamaria, Erstautor der Studie. „Dies unterstützt die Sichtweise, dass Neurodegeneration eine Form beschleunigter Alterung ist. Noch wichtiger ist jedoch, dass die positive Korrelation zwischen Neurodegeneration und biologischem Alter darauf hindeutet, dass die von der Uhr identifizierten verjüngenden Interventionen als neuroprotektive Wirkstoffe dienen könnten.“
Wirkstoffe mit Verjüngerungspotenzial identifizieren
Ziel der Forschenden war es, mithilfe der Uhr genetische oder chemische Interventionen zu finden, die das biologische Alter von Gehirnzellen signifikant zurücksetzen können. Sie untersuchten die Wirkung tausender Substanzen auf neuronale Vorläuferzellen und Nervenzellen und identifizierten 453 einzigartige verjüngende Interventionen.
Unter den identifizierten Substanzen, die das biologische Alter der beiden Zelltypen im Gehirn rückgängig machen können, sind einige dafür bekannt, die Lebensdauer in Tiermodellen zu verlängern. Einige werden bereits zur Behandlung neurologischer Erkrankungen eingesetzt. Jedoch wurde der Großteil der identifizierten Faktoren bisher auf ihre gesundheits- oder lebensverlängernde Wirkung untersucht. „Einerseits bestätigt die Tatsache, dass unsere computergestützte Plattform bekannte Wirkstoffe identifiziert hat, dass man mit der Vorhersage des biologischen Alters das neuroprotektive Potenzial effektiv bewerten kann“, erläutert Prof. Antonio Del Sol, Leiter der Gruppen für Computational Biology am LCSB und CIC BioGUNE. „Gleichzeitig zeigt unsere Uhr aber auch neue, bisher unerforschte Kandidaten mit Verjüngerungspotenzial auf. Das eröffnet viele neue Forschungswege.“
Erste Validierung im Tiermodell und neue therapeutische Horizonte
Um den Ansatz zu validieren, testeten die Forschenden drei der vorhergesagten Substanzen in Zusammenarbeit mit dem Team von Prof. Rubén Nogueiras vom Centre for Research in Molecular Medicine and Chronic Diseases in einem Mausmodell. Die Verabreichung dieser Substanzen reduzierte die Angstzustände bei älteren Mäusen signifikant und verbesserte leicht das räumliche Gedächtnis. Das heißt, es wurden zwei bekannte Symptome des Alterns entgegengewirkt. Die Analyse der Genexpression zeigte zudem eine Verschiebung zu einem jüngeren Zellzustand. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass eine Auswahl der vorhergesagten Wirkstoffe tatsächlich zur Verjüngung auf molekularer Ebene im Kortex gealterter Mäuse führte und sich auf Verhalten und Kognition auswirkte.
Insgesamt hebt die kürzlich in der Fachzeitschrift Advanced Science veröffentlichte Studie die „Aging clock“ als wertvolles Instrument zur Identifikation von gehirnverjüngenden Interventionen mit therapeutischem Potenzial bei neurodegenerativen Erkrankungen hervor. Sie schafft eine solide Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Arbeiten. „Die Vielzahl an Wirkstoffen, die unsere Plattform identifiziert hat, muss nun in verschiedenen biologischen Systemen auf Wirksamkeit und Sicherheit überprüft werden. Das eröffnet weitreichende Perspektiven für die Entwicklung künftiger Therapien“, erklärt Prof. Del Sol abschließend.
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Sehen Sie sich das kurze Interview mit Dr. Sascha Jung an, in dem er die Studie erläutert.
Referenz: Guillem Santamaria, Cristina Iglesias, Sascha Jung, Javier Arcos Hodar, Ruben Nogueiras and Antonio del Sol, A machine-learning approach identifies rejuvenating interventions in the human brain, Advanced Science, July 2025.
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