Vorhofflimmern ist die weltweit häufigste Herzrhythmusstörung, von der im Jahr 2019 rund 59 Millionen Menschen betroffen waren. Dieser unregelmäßige Herzschlag ist mit einem erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz, Demenz und Schlaganfall verbunden. Vorhofflimmern stellt somit eine erhebliche Belastung für die Gesundheitssysteme dar, weshalb seine Früherkennung und Behandlung ein wichtiges Ziel sind. Forscher des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg haben kürzlich ein Modell entwickelt, das den Übergang von einem normalen Herzrhythmus zu Vorhofflimmern vorhersagen kann. Es warnt durchschnittlich 30 Minuten vor dem Beginn mit einer Genauigkeit von etwa 80 %. Diese Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Patterns veröffentlicht wurden, ebnen den Weg für die Integration in tragbare Technologien, die ein frühzeitiges Eingreifen und bessere Behandlungsergebnisse für die Patienten ermöglichen können.
Beim Vorhofflimmern schlagen die Herzvorhöfe unregelmäßig und sind nicht mehr mit den Herzkammern synchronisiert. Die Rückkehr zu einem regelmäßigen Rhythmus kann mehr oder weniger invasive Eingriffe erfordern: von der Anwendung eines Defibrilators, um das Herz wieder in einen normalen Sinusrhythmus zu bringen, bis hin zur Verödung eines bestimmten Bereichs, der für die fehlerhaften Signale verantwortlich ist. Wenn es gelänge, eine Vorhofflimmerepisode früh genug vorherzusagen, könnten die Patienten vorbeugende Maßnahmen ergreifen, um einen stabilen Herzrhythmus aufrechtzuerhalten. Die derzeitigen Methoden, die auf der Analyse des Herzrhythmus und der Daten eines Elektrokardiogramms (EKG) beruhen, können Vorhofflimmern jedoch erst kurz vor Beginn erkennen, so dass nicht genügend Zeit für eine Frühwarnung bleibt.
“Unsere Arbeit weicht von diesem Ansatz ab und verwendet ein prospektiveres Vorhersagemodell”, erklärt Prof. Jorge Goncalves, Leiter der AI Modelling and Prediction Gruppe am LCSB. “Wir haben Herzfrequenzdaten verwendet, um ein Deep-Learning-Modell zu trainieren, das die verschiedenen Phasen – Sinusrhythmus, Prä-Vorhofflimmern und Vorhofflimmern – erkennen und die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Episode berechnen kann.” Nähert sich das Vorhofflimmern, steigt die Wahrscheinlichkeit, bis sie einen bestimmten Schwellenwert überschreitet und das Modell Alarm schlägt.
Dieses Modell künstlicher Intelligenz mit dem Namen WARN (Warning of Atrial fibRillatioN) wurde anhand von 24-Stunden-Aufzeichnungen von 350 Patienten des Tongji-Krankenhauses (Wuhan, China) trainiert und getestet. Es warnt durchschnittlich 30 Minuten vor Beginn des Vorhofflimmerns und das mit hoher Genauigkeit. Im Vergleich zu früheren Methoden zur Vorhersage von Herzrhythmusstörungen ist WARN das erste System, das frühzeitig vor dem Auftreten von Herzrhythmusstörungen warnt.

“Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass unser Modell sehr leistungsfähig ist, obwohl es nur auf den Zeitintervallen zwischen den Herzschlägen basiert. Das heißt, es werden nur Herzfrequenzdaten benötigt, die von einfachen, erschwinglichen und leicht zu tragenden Herzfrequenzsensoren wie Smartwatches erfasst werden können”, betont Dr. Marino Gavidia, Erstautor der Veröffentlichung, der im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Systems Control Gruppe und der Doctoral Training Unit CriTiCS an diesem Projekt gearbeitet hat .
“Solche Geräte können von Patienten im Alltag genutzt werden. Unsere Ergebnisse ebnen den Weg für die Entwicklung von Echtzeit-Überwachung und Frühwarnung durch komfortable tragbare Geräte”, ergänzt Dr. Arthur Montanari, ein am Projekt beteiligter Forscher am LCSB.
Darüber hinaus kann das von den Forschern entwickelte Modell so angepasst werden, dass ein handelsübliches Smartphone die Daten der Smartwatch verarbeiten könnte. Die Tatsache, dass es keine hohe Rechenleistung benötigt, macht es zu einem idealen Beispiel für die Integration in tragbare Technologien. Langfristiges Ziel ist es, dass jeder Patient seinen Herzrhythmus kontinuierlich überwachen kann und Frühwarnungen erhält, die ihm genügend Zeit zum Handeln geben: Antiarrhythmika einnehmen oder gezielte Therapien anwenden, um das Auftreten von Vorhofflimmern zu verhindern. So könnten Notfalleingriffe reduziert und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden.
“In Zukunft werden wir uns auf die Entwicklung personalisierter Modelle konzentrieren. Der tägliche Gebrauch einer einfachen Smartwatch liefert ständig neue Informationen über die individuelle Herzdynamik. Dadurch können unsere Modelle für einzelne Patienten ständig verfeinert und neu trainiert werden, um eine bessere Leistung mit noch früheren Warnungen zu erzielen”, sagt Prof. Goncalves abschließend. “Letztendlich könnte dieser Ansatz somit zu neuen klinischen Studien und innovativen Behandlungsmethoden führen.”
Dieses Forschungsprojekt wurde im Rahmen eines Programmes zur Doktorandenausbildung durchgeführt, das sich auf kritische Übergänge in komplexen Systemen konzentriert (Doctoral Training Unit CriTiCS). Die vom Luxembourg National Research Fund (FNR) finanzierten DTUs bieten Doktoranden eine qualitativ hochwertige und interdisziplinäre Forschungsausbildung an.
Im Rahmen von CriTiCS untersuchten elf Doktoranden, wie katastrophale Ereignisse in verschiedenen Bereichen entstehen: vom Börsencrash bis zum Ausbruch von Krankheiten. Um die kritischen Übergänge, die diesen abrupten Veränderungen vorausgehen, besser zu verstehen, arbeiteten sie an theoretischen und experimentellen Projekten in einer Reihe von Disziplinen, die von Immunologie und Biologie über klinische Wissenschaften bis hin zu Physik und Finanzwissenschaften reichten. Weitere Informationen auf der Website.
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Referenz: Early warning of atrial fibrillation using deep learning, Marino Gavidia et al., Patterns, 18 April 2024.
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Credits: Oberes Bild generiert mit DALL.E