Vortragsreihe der Arbeitsgruppe Geisteswissenschaften und Religion
Zum Thema
So mancher mag es nicht, sich mit der Frage nach der Wahrheit auseinanderzusetzen, so wie es auch von Pilatus im Johannesevangelium (Joh, 18,38) berichtet wird. Diese Frage scheint veraltet. Vielleicht sehen wir uns auch gerade deshalb gegenwärtig mit dem Phänomen der sogenannten „Post-Truth-Politics“ konfrontiert.
Das Leben kann in bestimmten Situationen zunächst einfacher erscheinen, wenn man sich die Frage nach der Wahrheit nicht stellt. Für andere dagegen gilt die Suche nach der Wahrheit als Berufung. Sie machen aus diesem Streben sogar ihren Beruf: als Wissenschaftler/-in, Philosoph/-in, Lehrer/-in, Politiker/-in oder gar Journalist/in.
Manche verstehen Wahrheit vor allem unter dem Gesichtspunkt der Authentizität, also die Treue gegenüber sich selbst. Andere leugnen die Existenz von Wahrheit. Dann stellt man sich allerdings rasch die Frage, ob man mit solchen Menschen überhaupt ins Gespräch kommen und einen echten Dialog führen kann.
Man kann sich auch fragen, ob etwa die Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit nicht letztlich zu Indifferenz gegenüber dem Leben führt. Diese Frage stellen zum Beispiel Philosophen wie Baruch de Spinoza oder Harry Frankfurt. Auch Sigmund Freud und Jacques Lacan zeigen, wie die Liebe zur Wahrheit und das Suchen nach dem eigenen Begehren unser Leben vitaler machen.
Dabei gilt uns Freude immer als Zeichen dafür, dass wir unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten leben. Andersherum stellt sich die Frage, ob wir uns überhaupt selbst verstehen können, ohne Liebe zur Wahrheit.
Eigentlich können wir nicht ohne Wahrheit leben, sagt Harry Frankfurt. „Wenn wir keinen Respekt für die Unterscheidung zwischen wahr und falsch haben, dann können wir unsere viel gepriesene ‚Rationalität‘ eigentlich vergessen. […] Lügen sind darauf angelegt, unseren Zugriff auf die Realität zu beschädigen.“
Es stellen sich uns aber auch Nietzsches Fragen: „Wieviel Wahrheit erträgt ein Geist?“ und „Wieviel Wahrheit wage ich?“. Es bedarf also des Mutes zur Wahrheit. Aber es ist auch Vorsicht geboten, wenn man glaubt, man kenne die absolute Wahrheit. Zu der hier aufgeworfenen Frage „Was ist Wahrheit?“ organisiert die Arbeitsgruppe „Geisteswissenschaften und Religion“ im akademischen Jahr 2018-2019 einen Vortragszyklus. Es geht dabei um die Implikationen der Wahrheitsfrage in den Bereichen Literatur, Erkenntnistheorie, Ethik, historische Aufarbeitung, Glaubenslehre, Politik und Medien und persönliche Subjektwerdung.
Intention der Arbeitsgruppe Geisteswissenschaften und Religion
Es scheint uns sinnvoll, einen Freiraum zu schaffen, um über die Bedeutung weltanschaulicher Diskurse und den Platz eines „homo religiosus“ im säkularen Kontext der Moderne nachzudenken und uns auszutauschen. Dieser Freiraum befindet sich dabei jenseits von religiösen Institutionen wie den Kirchen und anderen weltanschaulichen Gruppen.
Zu den Mitgliedern der Gruppe gehören Gerhard Beestermöller, Jean Braun, Roger Davids, René Gonner, Christian Hourscht, Alexander Löhle, Christian Meyers, Jennifer Pavlik und Jean-Marie Weber.
Vorträge
- 24.10.2018: Prof. Dr. Georg Mein (Universität Luxemburg): Die Wahrheit der Literatur (Campus Belval, MSA, Raum 3.110)
- 12.11.2018: Prof Dr. Jean Greisch (Institut Catholique de Paris): Stelldichein mit der Wahrheit: das Phänomen der Wahrheit und die Tugenden der Wahrhaftigkeit (Campus Belval, MSA, Raum 3.330)
- 06.12.2018: Dr. Gaëlle Jeanmart (Coordinatrice de PhiloCité, Liège): La vérité peut-elle soigner? De l’intérêt d’une conception spirituelle de la vérité aujourd’hui
- 16.01.2019: Prof. Dr. Magnus Striet (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg): Welche „Wahrheit“ ist möglich? Oder: Glaube unter vernunftkritischen Bedingungen
- 14.02.2019: Dr. Renée Wagener (Historikerin, Publizistin): Die ganze Wahrheit? Reden und Schweigen der Luxemburger Kirche über Judentum, Antisemitismus und Shoah nach dem Zweiten Weltkrieg
- 15.03.2019: Prof. Dr. Michael Seewald (Universität Münster): Dogma im Wandel: Wie Glaubenslehren sich entwickeln?
- 03.04.2019: Rundtischgespräch: Journalismus und Wahrheit Leitung: Prof. Dr. Michel Pauly (Universität Luxemburg)
- 15.05.2019: Prof. Dr. habil. Chris Doude Van Troostwijk (Luxembourg School of Religion and Society): Comment ne pas inventer la vérité? Dépasser le scepticisme à l’âge de médiacratie
- 05.06.2019: Prof. Dr. Lukas Sosoe (Universität Luxemburg): La question de la vérité dans la théorie des systèmes
Ab dem 06.12.2018 finden alle Vorträge von 19:00 bis 21:00 Uhr auf dem Campus Limpertsberg (Raum BSC E00 003) statt.
Kontakt: Jean-Marie Weber